Veranstaltungen der
Akademie Europäischer Kultur
Karneval des Politischen. Trump und die US-Präsidentschaftswahl
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur in der „Rotunde“. Cartesium (Cart),
Enrique-Schmidt-Straße 5, 28359 Bremen, am 24. Oktober 2024 um 16.00 Uhr
An Deutungen des Donald Trump herrscht kein Mangel. Aber die meisten können nicht erklären, warum er sich trotz seiner vielen zur Schau gestellten Provokationen, seiner Gerichtsprozesse und abwertenden Äußerungen so großer Beliebtheit erfreut. Lisa Gaufman, Professorin am Institut für Europäische Politik und Gesellschaft der Universität Groningen, wird in ihrem Vortrag der These nachgehen, dass der Erfolg Trumps sich am ehesten als ein „Karneval der Politik“ erklären lässt. Eine besondere Bedeutung kommt in dieser Interpretation dem russischen Kulturwissenschaftler Mikhail Bakhtin (1895-1975) zu, der den mittelalterlichen Karneval in Europa als eine Art institutionalisierter, jahreszeitlich limitierter Revolution des Lachens begriff, ohne die man die Stabilität des Feudalismus nicht verstehen kann.
Ein Vortrag von Dr. Elizaveta Gaufman (Universität Groningen). Einführung: Prof. Dr. Rainer Stollmann.
Repräsentationen des Krieges
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Haus der Unternehmensverbände, Schillerstraße 10, 28195 Bremen, am 1. Oktober 2024 um 17.30 Uhr
Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im Sommer 2021, der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 und die Terroranschläge der Hamas am 7. Oktober 2023 haben gleichermaßen ein enormes mediales Echo in Deutschland gefunden. Andere größere bewaffnete Konflikte – die empirische Forschung listet 28 für das Jahr 2022 auf – bleiben dagegen medial oft unbeachtet.
Mit Blick auf die öffentliche Diskussion über die Gegenwart kriegerischer Gewalt lädt die „Akademie Europäischer Kultur“ zu einem Gespräch über die Repräsentation des Krieges in der Öffentlichkeit ein. Das Gespräch soll mit Winfried Nachtwei, ehem. Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen (1994-2009), eingeleitet werden. Winfried Nachtwei hat sich viele Jahre in den deutsch-afghanischen Beziehungen engagiert und war lange Fraktionssprecher seiner Partei im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik. Mit ihm wollen wir der Frage nachgehen, was darüber entscheidet, was zum öffentlichen Thema wird und was nicht, und wie sich die Konjunkturen der Berichterstattung auf das politische Handeln – und Nicht-Handeln – auswirken.
Winfried Nachtwei im Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Schlichte.
Gesellschaftliche Voraussetzungen für den Aufstieg des autoritären Nationalradikalismus der AfD
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Haus der Wissenschaft Bremen, am 2. Sept. 2024 um 19.00 Uhr.
Die prognostizierten und zu erwartenden hohen Wahlgewinne der AfD in den ostdeutschen Bundesländern am 1. 9. 2024 müssen spätestens am Tag nach der Wahl jenseits von bekannten populistischen und rechtsextremen Zuschreibungen tiefgreifend als gewachsenes politisches Bewusstsein analysiert werden. Es handelt sich offensichtlich um ein relativ stabiles, gesellschaftlich seit langem alltagstaugliches, sozial produziertes Gedankengebäude einer auch in weiten Teilen der Bevölkerung verankerten aggressiven Staats-, Gesellschafts,- und Demokratiekritik. Die grundlegenden Arbeiten von W. Heitmeyer und seinem Institut haben in den letzten 20 Jahren zu den gesellschaftlichen Lageentwicklungen, Brüchen und sozialen Verwerfungen in der Bundesrepublik vielfältige herausragende sozialempirische Langzeitstudien zu Veränderungen des politischen Bewusstseins und des sozialen Verhaltens verfasst. Hiermit können die gesellschaftlichen Voraussetzungen für den Aufstieg der AfD plausibel faktenbasiert nachgezeichnet und offen diskutiert werden.
Vortrag von Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer, Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Universität Bielefeld.
Der Reiz des Alltäglichen. Experten des ungewöhnlich gewöhnlichen Lebens
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Haus der Wissenschaft Bremen, am 22. Mai 2024 um 17.00 Uhr.
Die ästhetischen Vorlieben aus dem gewöhnlichen kulturellen Leben sind wie die Gefühle durch akustische und visuelle Erfahrungen, durch Geschmackliches, durch Gerüche und Berührungen beeinflusst. Das Ungewöhnliche des kulturellen Alltags kommt dort zum Ausdruck, wo sich durch persönliches Engagement ganz spezielle Neigungen und Expertisen entwickelt haben.
Exquisite Orientierungen der individuellen Alltagsästhetik werden erörtert und hinterfragt. Ungewöhnliche kulturelle Gepflogenheiten werden angesprochen. Was ist ihr Reiz oder Genuss? Was ist reizvoll? Und was ist gewöhnlich? Welche Talente treten hervor? Ist im Alltäglichen das Epische zu entdecken?
Es äußern sich Literatur-, Musik- und Genussbegeisterte zu ihrer Arbeit sowie zum visuellen, akustischen, kulinarischen und haptischen Kulturalltag. Im UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes als „Wertschätzung und Anerkennung überlieferten Wissens und Könnens“, dem die deutsche UNESCO-Kommission beigetreten ist, heißt es fast poetisch: „Kulturtalente tanzen, entwickeln, erzählen, prägen, fertigen, wissen, pflegen, spielen, können, kreieren, erhalten, gestalten, inspirieren…“
Die Fernseh- und Filmautorin Meriko Gehrmann im Gespräch mit Marie Enders (UNESCO, Leitung Geschäftsstelle Immaterielles Kulturerbe), Dr. Alexandra Tacke (Referentin für Literatur und Filmkunst beim Senator für Kultur Bremen), Götz Kelling-Urban (Musiker, Unternehmer) und Oliver Schmidt (Genussexperte). Am Flügel: Christian Faerber.
Ostpolitik und der Frieden in Europa
Sabine Märzthaler im Gespräch mit Willy Brandt, Hans Koschnick und Vitali Klitschko
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Kommunalkino CITY 46 Bremen, am 3. März 2024 um 11.00 Uhr.
Was die drei Politiker verbindet, war und ist ihre Stellung als Bürgermeister. In Berlin, Bremen und Kiew. Ihre unterschiedlichen Positionen erfragt Sabine Märzthaler in einem Gespräch über Vergangenes, Aktuelles und Künftiges. Man möge an den üblichen Jargon des Politischen in den allgegenwärtig bekannten Talkshows denken. Aber bei aller fortschreitenden Geistlosigkeit. In dieser Gesprächsrunde äußern sich Geister, ja tatsächlich: Gespenster.
Eine Mise en Scène mit Christian Kaiser (Regie; Koschnick), Kathrin Steinweg (Moderation), Christian Aumer (Brandt) und Denis Fischer (Klitschko). Skript: Reiner Matzker.
Ukraine. Zur Erklärung eines Angriffskrieges
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur am 9. März 2023 um 17.00 Uhr im Haus der Wissenschaft Bremen
Wir haben in der Öffentlichkeit zum Krieg in der Ukraine zu viel Meinung und zu wenig Erklärung. Zwei Erklärungsmuster dominieren: das „realistische“ (USA, Russland) und das „liberale“ (Deutschland). Der im 19. Jahrhundert verwurzelte Realismus betrachtet Staaten als Individuen, die Machtpolitik betreiben. Der Krieg als solcher ist in dieser Theorie nicht erklärungsbedürftig, sondern als „Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln“ immer möglich. Nur eine kluge Gleichgewichtspolitik (Bismarck) kann ihn vermeiden, wertebasierte Außenpolitik (Obama, die deutschen Grünen) gelten hier als Kriegsrisiko. Der „Liberalismus“ verortet dagegen den Krieg in den „Autokratien“, denen die friedliebenden Demokratien gegenüber gestellt werden. Krieg ist Ausdruck von überkommenen imperialen Herrschergelüsten einer kleinen Herrscherclique. Tatsächlich sind aber die USA, die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich sowie die Sowjetunion / Russische Föderation die am häufigsten kriegsbeteiligten Staaten für den Zeitraum nach 1945. „Viele dieser Kriegsbeteiligungen waren oder sind nicht völkerrechtskonform, wie auch die gegenwärtigen Kriegshandlungen westlicher Staaten im Jemen, in Pakistan oder Libyen zeigen.“ (K. Schlichte) Beide Paradigma, das realistische wie das liberale, halten sich nicht an die wirkliche Geschichte, sondern mythisieren in konträrer Weise die relativ junge Form der Nationalstaatlichkeit. Tatsächlich sind wir aber alle Teil derselben postimperialen Welt. Ausgehend von dieser Mangelhaftigkeit der beiden gängigen Erklärungsmuster versucht der Vortrag einen Begriff des Krieges aus einer kritischen, historisch-soziologischen Perspektive auf die internationale Politik zu umreißen. „Ihr Hauptmerkmal ist, dass sie, anstatt die »Pathologien« aus der Moderne zu eskamotieren, diese kritisch auf das Selbstverständnis der Moderne wendet. Diese Haltung teilen alle Ansätze des kritischen Paradigmas in den Internationalen Beziehungen und der kritischen Sozialtheorie. Das gilt für die marxistische Tradition mit ihren unterschiedlichen Varianten, etwa die kritische Internationale Politische Ökonomie oder die frühe Frankfurter Schule, und ebenso für die postkoloniale Theorie, die kritische Sicherheitsforschung oder den kritischen Feminismus.“ (K. Schlichte) Dazu einige Stichworte: »Der Staat ist eine Kriegsmaschine« – zu einer politischen Soziologie des zwischenstaatlichen Krieges; »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« als ein übergreifendes Strukturmerkmal der Weltgesellschaft; der postimperiale Habitus im Postsozialismus; eine asymmetrische Figuration; Dynamiken von Machtasymmetrien im Konflikt; Apparate und Industrien der »Sicherheit«, der Begriff des militärisch-industriellen Komplexes (MIK); »Punctuated Time« und Konflikthandeln.
Rainer Stollmann
Referat: Prof. Dr. Klaus Schlichte. Moderation: Prof. Dr. Rainer Stollmann. Statements: Dr. Narciss Göbbel, Cornelius Neumann-Redlin.
Klaus Schlichte ist seit 2010 Professor für Internationale Beziehungen und Weltgesellschaft an der Universität Bremen. Zuvor Professor in Magdeburg und an der Humboldt Universität Berlin, Forschungsaufenthalte an Universitäten in den USA, Paris und Kirgisistan. Seine Hauptforschungsgebiete sind die Soziologie des Krieges und der Staaten sowie die historische Soziologie der internationalen Politik im Allgemeinen. Außerdem hat er ein starkes Interesse an politischer und sozialer Theorie, die über seine Forschungsgebiete hinausgeht. Er hat umfangreiche Feldforschungen in Mali, Senegal, Uganda, Frankreich und Serbien durchgeführt. Seine letzten Publikationen sind „The Historicity of International Politics” (Mitherausgeber mit S. Stetter, Cambridge University Press 2023); „The Political Anthropology of Internationalized Politics” (Hrsg., London 2021), „Theories on Violence" (mit Teresa Koloma Beck, Hamburg: Junius 2014), „Dynamics of States” (Hrsg., Aldershot 2005) und „The State in World Society” (Frankfurt/M. 2005); „In the Shadow of Violence. Die Politik der bewaffneten Gruppen“ (Frankfurt/M. Campus; Chicago UP 2009).
Pop als Passion
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Haus der Wissenschaft Bremen, am 19. Januar 2023 um 14.00 Uhr.
Als vielleicht in den 1980er Jahren „Pop Art“ zu „Art Pop“ wurde, war nach wie vor klar, dass die Bezeichnung „Pop“ wenig mit Populärkultur zu tun hat. Eher mit einem Phänomen, das der von vielen beliebte Snack Popcorn verdeutlicht. Die Maisknabberei entfaltet sich mit einem Knall. Zumindest lässt sich sagen, dass die Popkultur an Knalleffekten orientiert ist. Dies in einem umfassenden ästhetischen Sinn. Unter dem Titel „Pop und Politik“ veröffentlichte der Spiegel-Verlag 1994 eine Spezialausgabe. Aber das Politische des Pop war stets nur Nachgeschmack. In der Musik und anderen Künsten war der Pop als exklusives wie subversives Moment des Kunstschaffens stets um das Neue bemüht, um das, was den Knall auslöst. Die Passion als Leiden und Leidenschaft begleitete die vom Pop ausgelöste Furore bis heute. Folgt sie marktwirtschaftlichen Einflüssen – oder steckt in dieser Kunst tatsächlich ein revoltierender Impuls? Auch wenn sie in der Vergangenheit fortwährend erfolgreich vermarktet wurde. Und welches politische Kalkül enthält die Passion eines Massenpublikums, das im Pop freigelegt wird?
Reiner Matzker
Ein Podiumsgespräch. Mit Andrea Rothaug (RockCity Hamburg, Pop Office Bremen), Gregor Hennig (Studio Nord, Pop Office Bremen), Ingo Petzke (Autor und Filmschaffender) und Kai Stührenberg (Bremer Staatsrat für Arbeit und Europa). Moderation: Harald Wehmeier.
Großmacht Europa?
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Restaurant „Il Blu“ Bremen, am Ulrichsplatz, Ostertorsteinweg 27, am 27. 10. 2022 um 18.00 Uhr.
Als ‚Last Call Europe’ könnte man die jüngste engagierte Rede von Bundeskanzler Scholz in Prag zur zukünftigen Entwicklung Europas verstehen. Angesichts der geopolitischen Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg und die damit notwendige Erneuerung einer langfristig belastbaren Sicherheitsarchitektur für das gemeinsame Haus Europa stellt sich die Frage: Benötigen wir nicht eine Großmacht Europa zwischen den imperialen Blöcken und Weltmächten? Scholz sprach von einem geeinten, souveränen und kooperativen Europa inmitten aktueller und zukünftiger bipolarer weltweiter Konflikte. Die Stärken und Schwächen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten stehen damit militärisch, ökonomisch, sozial und kulturell auf dem Prüfstand. Wer wagt die Führungsrolle für einen langwierigen Umbau mittels einer Transformation der notwendigen nationalstaatlichen Europäisierung auf der Grundlage einer gemeinsam geteilten wertebasierten Außenpolitik?
Erste Antworten und auch Zweifel hierzu finden wir u. a. möglicherweise in den aktuellen ideologischen Auseinandersetzungen um die militärische Stärkung der Ukraine, die autokratische Rolle und Kriegstreiberei Putins, die offensichtlichen Fehler der deutschen Osteuropapolitik, die Wirkungen der gegenüber Russland verhängten Sanktionen und die von Deutschland von allen Seiten erwartete Führungsrolle. Darüber hinaus könnte ein kritischer Blick in die langwierige Entstehungsgeschichte Europas und seine komplexe Ideengeschichte hilfreich sein.
Narciss Göbbel
Zur Thematik haben wir politisch und wissenschaftlich erfahrene meinungsstarke Bremer Experten zu einer Gesprächsrunde eingeladen:
Dr. Helga Trüpel, langjähriges Mitglied im Europaparlament für die GRÜNEN, Senatorin für Kultur und Ausländerintegration. Prof. Dr. Wolfgang Eichwede, Historiker der Universität Bremen und Gründer des Osteuropainstituts. Libuse Černá, Europa-Journalistin, Radio Bremen, Mitbegründerin des Bremer Rats für Integration und Kulturaustausch.
Europäisches Kino. Kontrovers, kritisch, skandalös
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Haus der Wissenschaft Bremen am 28. Juni 2022, um 14.00 Uhr
Eine cineastische Instanz à la Hollywood ist in Europa nicht zu finden. Aber auch die filmische „Traumfabrik“ basiert auf Neuerungen und Verheißungen der westlichen und mithin europäischen Industrialisierung. Die kinematographischen Ursprünge lassen sich auf technische Entwicklungen zurückführen, die zunächst in Europa Aufsehen erregten. Als der erste Apparat, mit dem man ein glaubhaft bewegtes Bild vorführen konnte, gilt das 1832 von J. A. F. Plateau in Brüssel erfundene Phenakistikop. Fast gleichzeitig erfand S. Stampfer in Wien das vergleichbare Stroboskop. Jahrzehnte später wurde im April 1894 in New York der erste Kinetoskop-Salon eröffnet, nach einer Erfindung von Thomas Alva Edison. Im Dezember 1895 veranstalteten die Brüder Louis und Auguste Lumière im Pariser Grand Café eine Vorführung mehrerer Kurzfilme. Im Berliner Varieté Wintergarten fand 1895 eine Filmvorführung der Gebrüder Skladanowsky statt. Ihr kinematographisches Bewegungssystem nannten sie Bioscope.
Dies nur zur ursprünglichen Technik. Die inhaltliche Produktion von Filmwerken im 20. Jahrhundert war in den USA wie in Europa stets beeinflusst von oftmals ideologischen Deutungen des Zeitgeschehens. In den USA schilderte 1914 in „The Birth of a Nation“ David Wark Griffith die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Nord- und Südstaaten. Dem zwar aus künstlerischer, filmästhetischer Perspektive wegweisenden Film wird berechtigt Rassismus vorgeworfen. Griffith glorifiziert den Ku Klux Klan. In Europa nahmen die Weltkriege und der Faschismus entscheidenden Anteil am Filmgeschehen. Filme wie „Jud Süß“ von Veit Harlan dienten in Deutschland der antisemitistischen Propaganda, seichte Unterhaltungsfilme dem nationalen Durchhaltewillen. Die revolutionäre Neubesinnung wurde in den UdSSR in den 1920er Jahren durch Filme von Sergej Eisenstein wie „Panzerkreuzer Potemkin“ oder „Oktober“ reflektiert. Eine Radikalität im Erzählerischen und Psychologischen wird Ende der 1920er Jahre durch Filme wie „Menschen am Sonntag“ von Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer und Billy Wilder deutlich. Oder 1931 durch „M“ von Fritz Lang.
Mitte des 20. Jahrhunderts ist ein filmgeschichtlicher Wandel zu beobachten. Essentiell ideologische Filme wichen inhaltlich zunehmend existenziellen Produktionen. Der Film „Les enfants du paradis“ (Kinder des Olymp, Frankreich 1943 – 45) von Marcel Carné , ein Werk über Zeit und Vergänglichkeit (Jacques Prévert), wird unter anderen exemplarisch für diese Entwicklung genannt. In Frankreich entwickelte sich die Nouvelle Vague, in Italien ein filmischer Neorealismus.
In der heutigen Zeit sind filmanalytisch äußerst vielschichtige, disparate und nicht unproblematische Deutungen aus Filmwerken ideologisch herauszulösen. Gewaltverherrlichende Phantasien, Sexismen, Rassismus und Perversionen prägen zahlreiche Werke des internationalen Films. In Europa konfigurieren nicht unkritisch provozierende Filme mit dieser Tendenz: Filme etwa von Pier Paolo Pasolini, Julia Ducournau, Claire Denis, Gaspar Noé, Bruno Dumont, Michael Haneke oder Lars von Trier.
Die übergreifende Frage: Ist es möglich, am Beispiel kultureller und subversiver Kompromisslosigkeit und Provokation einen Eigensinn europäischen Filmschaffens zu ermitteln?
Reiner Matzker
Podiumsgespräch mit Anette Unger, Dr. Eckhard Pabst, Prof. Dr. Marcus Stiglegger. Moderation: Dr. Narciss Göbbel.
Koloniales Erbe – legal oder erschlichen?
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Übersee-Museum Bremen am 27. April 2022, um 18.00 Uhr
Mit Beginn der Neuzeit und Entdeckungen der ‚Welt‘ war das europäische Zeitgeschehen durch die Eroberung weiter Teile neu erforschter Kontinente bestimmt. Im 19. Jahrhundert erreichte der Kolonialismus seinen Höhepunkt, begründet auf heute unakzeptable Theorien eines menschenverachtenden Rassismus und begleitet von Neugierde auf die fremden Welten, exotischen Kulturen und unbekannte Lebensverhältnisse. Das Interesse brachte Ende des Jahrhunderts u. a. die Errichtung von Völkerkundemuseen mit sich. Gegründet 1896 ist das Bremer Übersee-Museum bis heute eines der größten und bedeutendsten seiner Art.
Erst Jahrzehnte nach Ende des Kolonialismus im 20. Jahrhundert und infolge zunehmender Diskussionen und Erkenntnisse über diese Zeit und ihre Geschehnisse entstand wachsendes Interesse an einer Aufarbeitung ‚kolonialer Bestrebungen‘. Das Bremer Überseemuseum übernahm eine führende Rolle in diesem Prozess und startete eine „Spurensuche – Geschichte eines Museums“. Die Direktorin, Frau Prof. Dr. Wiebke Ahrndt, langjährige Vizepräsidentin des Deutschen Museumsbundes, leitet die Arbeitsgruppe „Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ und ist bundesweit maßgeblich beteiligt an der Aufarbeitung und Rückführung unrechtmäßig erworbener Exponate.
In der Ausstellung „Spurensuche“ werden hintergründige Fragen beantwortet: „Wie fanden die Exponate aus aller Welt ihren Weg in das Übersee-Museum? Wurden sie gesammelt, gekauft, gestohlen, geschenkt oder getauscht? Und welche Rolle spielten die Museumsmitarbeiter als Sammler und Auftraggeber, die Reedereien, Kaufleute, Missionare und lokalen Stellen und Händler?“
Manfred Michel
Nach einem Rundgang durch die Ausstellung berichtet Frau Prof. Dr. Ahrndt über ihre Arbeit. Der Rundgang beginnt im Foyer des Übersee-Museums. Das sich anschließende Gespräch wird von Dr. Narciss Göbbel moderiert.
Zur Person:
Prof. Dr. Wiebke Ahrndt. Studium u. a. der Geschichte, Ethnologie, Alten Geschichte, Ur- und Frühgeschichte und der Altamerikanistik an den Universitäten Braunschweig, Göttingen, Bonn und der University of California. Promotion in Altamerikanistik an der Universität Bonn. Nach wissenschaftlichen Tätigkeiten am Museum für Völkerkunde Hamburg und am Museum der Kulturen Basel ist sie seit 2002 Direktorin des Übersee-Museums Bremen. Sie war 2011 bis 2018 Vizepräsidentin des Deutschen Museumsbundes und ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Beiräten und Gremien und seit 2006 Honorarprofessorin an der Universität Bremen.
Die Veranstaltung wurde aus traurigem Anlass durch den plötzlichen Tod von Manfred Michel abgesagt.
Was ist eigentlich trivial? Probleme kultureller Wertung
Eine Gesprächsrunde der Akademie Europäischer Kultur im Bremer Kino Atlantis am 28. Januar 2022
Die Veranstaltung musste durch Krankheitsausfälle abgesagt werden. Nachstehend die Statements der eingeladenen Gäste:
Einen kulturellen Beitrag als „trivial“ zu kritisieren, ist schon sehr speziell, aber natürlich nicht vollkommen undenkbar. Generell sind in einer liberalen Gesellschaft, die sich in und durch rationale Diskurse ihres Selbstverständnisses versichert, auch kulturkritische Beiträge sinnvoll und erwünscht. Es ist wichtig, dass Kritik möglich ist. Sie sollte allerdings ihre Maßstäbe nennen und explizieren und gute Gründe vorbringen können. Und: Wer kritisiert, muss sich auch kritisieren lassen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, habe ich nichts dagegen, bestimmte kulturelle Phänomene als „trivial“ zu bezeichnen. Das kann ja vielleicht auch eine interessante Anregung für eine Auseinandersetzung sein. Man darf dann einfach gespannt sein auf die Begründung. Und kann dann ja ggf. widersprechen.
Dagmar Borchers
Ich meine, die folgende Anekdote wurde von Billy Wilder erzählt: Zwei Drehbuchautoren, der eine sehr erfolgreich, der andere ziemlich erfolglos, unterhalten sich. Der erfolglose fragt: „Was ist dein Geheimnis, woher nimmst du die tollen Ideen?“ Sagt der erfolgreiche: „Es liegt immer ein Zettel und ein Stift neben meinem Bett. Wenn ich etwas Tolles träume und aufwache, schreibe ich die Idee schnell auf. Am nächsten Morgen verarbeite ich sie zu einem Drehbuch.“ So verfährt auch der erfolglose Drehbuchautor, legt sich Zettel und Stift neben das Bett und schläft ein. Tatsächlich träumt er eine unglaubliche Geschichte. Er wacht auf, schreibt das Wichtigste schnell auf und schläft glücklich und in der Erwartung ein, demnächst einen Oscar zu gewinnen. Als er am nächsten Morgen seine Aufzeichnungen ansieht, steht dort „Junge liebt Mädchen.“ – Solche Zettel lagen ja eventuell auch neben den Betten von Shakespeare und Goethe, von James Cameron und David Lynch. Und der schlichte Satz vom jugendlichen Liebespaar steckt in Werken wie Romeo und Julia, Werther, Titanic und Wild at Heart. Und er steckt auch in der Lindenstraße oder in Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Was aber veranlasst jemanden zu dem Urteil, das eine sei trivial, das andere nicht? M. E. liegt ein Grund für solche Werturteile in der Taxierung der Form und nicht des Inhalts. Formen transportieren Inhalte, und je einfacher sich die formale Struktur durchschauen lässt und den Blick auf das inhaltliche Substrat freigibt, desto näher liegt – scheint mir – das Urteil der Trivialität. Was aber ist einfach zu durchschauen und was nicht? Oder besser: Wem fällt es leicht? Die Antworten auf diese Fragen führen in den Bereich kultureller Kompetenzen, und die Mechanismen, die hier freigelegt werden, sind solche der sozialen Abgrenzung.
Eckhard Pabst
Die Unterscheidung des Kunst- und Kulturbegriffs in einen „e“ und einen „u“ Bereich ist ja zunächst dergestalt zu hinterfragen, welche „Instanz“ diese Unterscheidung eigentlich vornimmt – und, in welcher Zeit bzw. unter welchem ideologischen Überbau dies geschieht … Noch für Ulbricht galt etwa „Beat-Musik“ als dekadentes und kulturloses „yeah yeah yeah“… Das ganze ist ein schier endloses kontroverses Thema mit immer neuen Wendungen, abhängig von einem nur diffus greifbaren „Zeitgeist“ und seinen jeweiligen Protagonisten auf Seiten der Kulturschaffenden einerseits, und der (allzu häufig selbsternannten) Kulturkritiker andererseits. Die interessante Frage bleibt, ob und inwieweit sich tragfähige Kriterien für die „Wertigkeit“ von Kunst und Kultur jenseits subjektiver Geschmacksfragen beschreiben lassen, die den Stempel „trivial“ entweder rechtfertigen oder begründet hinterfragen können. Und das gilt bei sämtlichen Angebotsformen (Musik, Malerei, Literatur, Film, Theater etc, etc,) Da der rezeptive Zugang zu manchen dieser Musen durchaus durch Bildungsschranken begrenzt ist, bedarf es natürlich der Expertise eines Beurteilenden, die aber kaum oder nur sehr selten die ganze Bandbreite des schier unendlichen Spektrums an Kunstformen abdecken kann… also: was ist eigentlich trivial… ? Karl May? Donald Duck? Die Equals? Eines meiner Lieblingszitate stammt von dem dänischen Dichter Hans Christian Andersen: „Er hat ja gar nichts an!“ – dieser Ausruf eines Kindes bricht das Schweigen. Betrug und Selbstbetrug sind entlarvt.
Harald Wehmeier
Kulturelle Emanzipation im Iran und in Europa
Eine Gesprächsrunde der Akademie Europäischer Kultur in der Kunsthalle Bremen am 20. Oktober 2020
Seltener verfolgen Künste nationale oder einseitig religiöse Interessen, von denen sie umso häufiger selbst verfolgt wurden und werden. Die iranische ‚Kultur’ ist seit vielen Jahren oder Jahrzehnten geprägt durch den Konflikt zwischen einer restriktiv konservativen Geisteshaltung und ambitioniert fortschrittlichen Ideen. Sind kulturelle Entwicklungen in Europa vergleichbar einzuschätzen? In dieser Gesprächsrunde äußern sich ebenso politisch wie persönlich iranische Künstlerinnen und Künstler zu ihrer Sicht auf europäische Verhältnisse. Das Interesse der Veranstaltung gilt der Einschätzung Europäischer Kultur aus der Sicht in Europa lebender Künstlerinnen und Künstler iranischer Herkunft. Gibt es Unterschiede zwischen iranischer und europäischer Kunst? Oder werden vielmehr internationale Entwicklungen künstlerisch berücksichtigt? Was bedeutet aus persönlicher Sicht kulturelle Emanzipation? Inwieweit hat das Leben in europäischen Verhältnissen die eigene Kunst beeinflusst? Sind manche kulturellen Tendenzen in Europa eher kritisch zu betrachten? Allgemeiner: Was ist unter 'moderner Kunst' zu verstehen? Oder Gegenwartskunst? Ist Kunst Teil der politischen Kommunikation?
Reiner Matzker
Einführung: Prof. Dr. Christoph Grunenberg. Im Gespräch die Künstlerinnen und Künstler: Parastou Forouhar (Mainz), per Video zugeschaltet; Maryam Motallebzadeh (Berlin); Hassan Sheidaei (Bremen). Moderation: Dr. Narciss Göbbel.
Film- und Medienbewertung. Zwischen Kunst und Kommerz
Mittagsgespräch am 8. November 2019 im Haus der Unternehmensverbände im Lande Bremen
Die Prädikate „wertvoll“ und „besonders wertvoll“, etabliert in den 1920ern, sind Qualitätssiegel und für heutige Besucher eine „Marke“ für die Filmempfehlung. Sie sind fester Bestandteil der deutschen Kinokultur. Durch die gemeinsame Filmsichtung und Bewertung unabhängiger Gremien in Wiesbaden wird die Unabhängigkeit der Entscheidungen garantiert. Sämtliche Bundesländer entsenden für einen Zeitraum von drei Jahren ehrenamtliche Film-Gutachter mit den unterschiedlichsten professionellen Hintergründen aus dem Film- und Medienbereich. So sind die Länder, Auftraggeber der FBW, auch an der Arbeit beteiligt.
Wozu dienen diese Siegel noch heute, und auf welcher Grundlage werden sie vergeben? Zuallererst dienen die Prädikate als Verwaltungsakte der Förderung des herausragenden Filmschaffens. Sie sind relevant für die bundesweite und regionale Filmförderung. Sie dienen weiterhin der Öffentlichkeit zur Orientierung im Filmangebot. Dabei wird Filmen bei der Bewertung die ihnen gebührende Wertschätzung entgegengebracht. Dies gilt sowohl den Filmen, die Unterhaltung zum Ziel haben, als auch Filmen, die beispielsweise komplexe politische oder gesellschaftlich ambitionierte Themen behandeln. Es gelten für die Jurys keine abstrakten Kulturbegriffe. Die Kriterien der Jurys haben sich am Anspruch und am Genre der einzelnen Filme zu bemessen.
Der FBW wird eine große Bandbreite unterschiedlichster Filme zur Bewertung vorgelegt. Filme, bei denen künstlerische Ambitionen im Vordergrund stehen, als auch Filme, bei denen der kommerzielle Erfolg Priorität hat, so dass Kunst und Kommerz als Antipoden eines Kontinuums beispielsweise in Form von Arthouse und Mainstream auch bei der FBW manchmal sehr nahe beieinander liegen.
Obwohl die FBW eine tradierte Einrichtung ist, hat sie sich seit den 2000ern neu positioniert. Zwar hat sich das Kerngeschäft nur wenig, ihre Ausrichtung und Schwerpunkte haben sich jedoch sehr bedeutend verändert. Die FBW betreibt heute verstärkt Öffentlichkeitsarbeit und initiiert zukunftsweisende Projekte. So trägt sie selbst auch dem permanenten kulturellen Wandel Rechnung.
Bettina Buchler
Begrüßung: Manfred Michel. Kurzreferate: Bettina Buchler (Direktorin der FBW aus Wiesbaden); Prof. Dr. Marcus Stiglegger (Juryvorsitzender der FBW, Vizepräsident und Professor für Fernsehen und Film an der DEKRA Hochschule für Medien Berlin); Wilfried Hippen (Juryvorsitzender der FBW, Filmjournalist aus Bremen). Moderation: Dr. Narciss Göbbel.
Europa ex Machina – zur politischen Bedeutung „sozialer Netzwerke“ und „künstlicher Intelligenz“
Mittagsgespräch am 31. Mai 2019 in der Kunsthalle Bremen
Der Planet Solaris in der gleichnamigen Erzählung von Stanislaw Lem kommuniziert mit den ihn untersuchenden Astronauten wie ein universelles Bewusstsein. Er sendet ihnen virtuelle Gäste. Der Astronaut Kelvin begegnet Harey, seiner durch Suizid verstorbenen Geliebten. Es wird deutlich: Die künstlich geschaffenen Personen reagieren auf menschliche Gewissenskonflikte. Dies unterscheidet sie beispielsweise von den egoistisch und berechnend wirkenden Androiden aus dem Film „Ex Machina“. Und es unterscheidet sie von allen entwickelten Erscheinungen artifizieller Intelligenz. Die Phänomene des Planeten Solaris sind Faktoren der Verunsicherung des individuellen Selbstverständnisses.
Die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beweggründe der Online-Verständigung haben in ihrer gesamtkulturellen Form und Metaphysik ein vergleichbares universelles Massenbewusstsein geschaffen. In seiner Diffusion jedoch ist dieses Bewusstsein kaum als moralisches Subjekt aufzufassen. Die eher ziellose wie zufällige Ausstreuung und Verbreitung von Informationen – auch solcher, die auf Fanatismus, menschlicher Dummheit und überkommenen Idealen beruhen – bringen es kaum als ethisch ernstzunehmende Größe zur Geltung. Entsprechend charakterisierbar sind die Öffentlichkeiten „sozialer Netzwerke“. Sie verdeutlichen: Technologischer Wandel ist nicht allein Ursache kommunikativer Veränderungen. Bei allem Fortschritt ist er zugleich auf die Ansprüche einer wenig reflektierten und reflektierenden Massenkommunikation zurückzuführen.
Reiner Matzker
Begrüßung und Einführung: Prof. Dr. Christoph Grunenberg (Kunsthistoriker und Direktor der Kunsthalle Bremen). Kurzvorträge: Barbara Lison (Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin, Direktorin der Stadtbibliothek Bremen und designierte Präsidentin des bibliothekarischen Weltverbandes IFLA); Prof. Dr. Frieder Nake (Mathematiker, Medienwissenschaftler und Pionier der Computerkunst). Moderation: Dr. Narciss Göbbel.
Populismus
Zweites Mittagsgespräch am 4. Mai 2018 im Haus der Unternehmensverbände im Lande Bremen
Gemessen an der älteren Bezeichnung für populistische, volksnahe Künste ist das Wort Populismus heute ungleich ein Euphemismus, eine beschönigende Bezeichnung für eine sich an Masseninteressen anbiedernde Politik. (Reiner Matzker)
Drei Persönlichkeiten aus Bremen und Georgien erläutern in Kurzreferaten ihre Sicht auf das Phänomen Populismus in Europa.
Dagmar Borchers:
Über Wahrheit und Lüge. Warum wir auf die Kategorie der Wahrheit nicht verzichten können
Populismus wird gemeinhin damit in Verbindung gebracht, ggf. aus strategischen Gründen Halbwahrheiten, wenn nicht gar Lügen zu verbreiten, sofern man sich davon einen (politischen) Vorteil verspricht. Über Wahrheit und Lüge in der Politik hat man in der Philosophie viel nachgedacht – bereits in der Antike, aber vor allem auch im 20. Jahrhundert. Eine besonders beeindruckende Reflexion über die zerstörerische Wirkung von Lügen und der Erosion der Kategorie der Wahrheit im Kontext der Politik findet sich bei der Philosophin Hannah Arendt. Ich möchte Ihre zentralen Gedanken vorstellen und deutlich machen, warum ihre Überlegungen m. E. auch für die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Populismus wichtig und aufschlussreich sind.
Wolfgang Stephan Kissel:
Ein Jahr nach der Wahl: Frankreichs Populismen und die Ära Macron
Vor den französischen Präsidentschaftswahlen vom 7. Mai 2017 herrschte Besorgnis, der rechtspopulistische Front National (FN) könne das höchste Staatsamt erobern. Der Sieg Emmanuel Macrons hat die Parteienlandschaft Frankreichs jedoch zugunsten der zentristischen Sammlungsbewegung La République en Marche (LRM) grundlegend verändert. Der FN scheint zurzeit schwer angeschlagen und läuft Gefahr, sich in inneren Streitigkeiten aufzureiben. Die linkspopulistische Partei La France Insoumise unter der Führung von Jean-Luc Mélenchon ist hingegen im Parlament mit einer eigenen Fraktion vertreten. Ob Präsident Macron den Front auf Dauer von der Macht fernhalten oder sogar beide Populismen marginalisieren kann, wird vom Erfolg und der Akzeptanz seiner Politik bei den Franzosen abhängen
Bidzina Lebanidze:
„Georgischer Marsch“ auf dem Vormarsch: Populismus in der europäischen Peripherie
Populismus ist nicht nur für Länder der Europäischen Union zu einem ernsthaften Problem geworden. Auch in den Ländern der europäischen Peripherie kommt es zum Erstarken populistischer Sentiments. In den postsowjetischen Staaten werden die populistischen Stimmungen weiterhin durch Propagandatätigkeit der Drittstaaten verstärkt. In Georgien, ein Land, das sich als europäisch definiert und die EU-Mitgliedschaft sucht, infiltriert der Populismus sowohl die politische Klasse als auch die Bevölkerung und wird zur ernsten Herausforderung.
Begrüßung Cornelius-Neumann Redlin. Kurzreferate Prof. Dr. Dagmar Borchers (Philosophin, Universität Bremen); Dr. Bidzina Lebanidze (Politikwissenschaftler und Lektor, Institut für Europastudien der Universität Bremen); Prof. Dr. Wolfgang Stephan Kissel (Institutssprecher, Institut für Europastudien der Universität Bremen). Moderation: Dr. Narciss Göbbel
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur in Verbindung mit dem Institut für Europastudien der Universität Bremen. Das Bremer Institut für Europastudien bündelt die Europa-Kompetenz in Lehre und Forschung in den Fächern Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft. Seit mehr als zehn Jahren werden Studierende im Bachelorstudiengang „Integrierte Europastudien“ für Positionen in europäischen und internationalen Institutionen, Unternehmen, aber auch für die Politik ausgebildet. Geschäftsführerin: Yvonne Pannemann.
Das Ungewisse in der Kultur
Mittagsgespräch am 27. Oktober 2017 im Haus der Unternehmensverbände im Lande Bremen
Thomas Assheuer hat die ‚Flüchtlinge‘ in seinem Essay „Willkommenskultur“ als „Vorboten des Ungewissen“ bezeichnet. Sie träfen auf nervöse Gesellschaften. Etwas Anfängliches kehre nach der Moderne zurück, eine Gewalt in mythischer Dimension. Nicht nur die Fakten, sondern auch die Vorstellungen und Ängste seien als Tatsachen zu begreifen. In ganz Europa formieren sich mit politischen Erfolgen EU- und Asylgegner. In Frankreich Le Pen, in Holland Geert Wilders, in der Schweiz die SVP, in Österreich die FPÖ, in Ungarn Victor Orbán. Die europäische Rechte scheint längst nicht mehr an einer Revision interessiert. Eher an Revolution. Das Ungewisse ist ebenso ein Moment der Spannung wie Faktor der Verunsicherung. An ihm scheitert die Antizipation, die Vorwegnahme. An ihm scheitern die Prognosen. Im Ungewissen ist die kulturelle Zukunft ein blinder Fleck – eine Grauzone. Das Denken, das kein Morgen kennt, speist sich aus dieser Leerstelle, das irreführende Leben des gelebten Augenblicks, die Hoffnung, die Angst. Das Ungewisse bleibt nicht ohne Wirkung auf das Geschehen, auf individuelles und gesellschaftliches Handeln, auf Wirtschaft, Politik und die Künste. Es steuert Lebensverhältnisse. Die Ungewissheit der europäischen Zukunft ist Triebmoment des politischen Optimismus wie der hilflosen Verankerung in überkommene staatliche Identitäten und nationale Formen der Selbstbehauptung. „Is this the life we really want?“ fragt ein international bekannter Musiker. Eine offene kulturpessimistische Frage – oder ein Postulat?
Reiner Matzker
Begrüßung: Cornelius Neumann-Redlin (Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände im Lande Bremen). Einführung Prof. Dr. Reiner Matzker. Kurzreferate: Renate Heitmann (Vorstand der bremer shakespeare company); Prof. Dr. Ferdinand Fellmann (Philosoph); Prof. Dr. Gerd G. Kopper (Journalistikwissenschaftler). Moderation: Dr. Narciss Göbbel.
Die Akademie Europäischer Kultur
Erstes Symposium am 5. Mai 2017 im Haus der Wissenschaft, Bremen
Die europäischen Verhältnisse sind ebenso denkwürdig wie bedenklich in Bewegung geraten: politisch, wirtschaftlich und kulturell. In Bremen hat es sich eine Gruppe von beobachtenden und nachdenklich gestimmten Personen zur Aufgabe gemacht, ein Forum, eine „Bühne“ für aktuelle und historisch gewachsene Probleme zu schaffen. Es entstand konzeptionell die Idee einer Akademiegründung. Die „Akademie Europäischer Kultur“ ist im traditionellen Sinn als Mitgliederakademie konzipiert. Ihrem Auftrag entspricht die Wahrnehmung, Anregung und Prognose kultureller Vorgänge und Entwicklungen im europäischen Raum. Die Observationen wirtschaftlicher, politischer, sozialer, technischer und künstlerischer Prozesse sind in die Akademiearbeit und ihre jeweiligen Arbeitsbereiche (Abteilungen) einbezogen. Die Ergebnisse werden allgemein durch Vorträge, Diskussionsveranstaltungen, Lesungen, Ausstellungen, Performances etc. von den Mitgliedern präsentiert. Sie dienen im Weiteren der Beschreibung wegweisender Anforderungen für kulturelle Bildung sowie der Überarbeitung und Erneuerung von Bildungskonzepten. Sie leisten unter Berücksichtigung öffentlicher Interessen Beiträge zur gesellschaftlichen Entwicklung.
Einführung: Prof. Dr. Reiner Matzker (Kommunikationswissenschaftler). Referate: Dr. Helga Trüpel (langjähriges Mitglied im Europaparlament); Prof. Dr. Detlev Ganten (Präsident des World Health Summit). Moderation: Dr. Narziss Göbbel, Manfred Michel.
Veranstaltungen der
Akademie Europäischer Kultur
Karneval des Politischen. Trump und die US-Präsidentschaftswahl
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur in der „Rotunde“. Cartesium (Cart),
Enrique-Schmidt-Straße 5, 28359 Bremen, am 24. Oktober 2024 um 16.00 Uhr
An Deutungen des Donald Trump herrscht kein Mangel. Aber die meisten können nicht erklären, warum er sich trotz seiner vielen zur Schau gestellten Provokationen, seiner Gerichtsprozesse und abwertenden Äußerungen so großer Beliebtheit erfreut. Lisa Gaufman, Professorin am Institut für Europäische Politik und Gesellschaft der Universität Groningen, wird in ihrem Vortrag der These nachgehen, dass der Erfolg Trumps sich am ehesten als ein „Karneval der Politik“ erklären lässt. Eine besondere Bedeutung kommt in dieser Interpretation dem russischen Kulturwissenschaftler Mikhail Bakhtin (1895-1975) zu, der den mittelalterlichen Karneval in Europa als eine Art institutionalisierter, jahreszeitlich limitierter Revolution des Lachens begriff, ohne die man die Stabilität des Feudalismus nicht verstehen kann.
Ein Vortrag von Dr. Elizaveta Gaufman (Universität Groningen). Einführung: Prof. Dr. Rainer Stollmann.
Repräsentationen des Krieges
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Haus der Unternehmensverbände, Schillerstraße 10, 28195 Bremen, am 1. Oktober 2024 um 17.30 Uhr
Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im Sommer 2021, der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 und die Terroranschläge der Hamas am 7. Oktober 2023 haben gleichermaßen ein enormes mediales Echo in Deutschland gefunden. Andere größere bewaffnete Konflikte – die empirische Forschung listet 28 für das Jahr 2022 auf – bleiben dagegen medial oft unbeachtet.
Mit Blick auf die öffentliche Diskussion über die Gegenwart kriegerischer Gewalt lädt die „Akademie Europäischer Kultur“ zu einem Gespräch über die Repräsentation des Krieges in der Öffentlichkeit ein. Das Gespräch soll mit Winfried Nachtwei, ehem. Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen (1994-2009), eingeleitet werden. Winfried Nachtwei hat sich viele Jahre in den deutsch-afghanischen Beziehungen engagiert und war lange Fraktionssprecher seiner Partei im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik. Mit ihm wollen wir der Frage nachgehen, was darüber entscheidet, was zum öffentlichen Thema wird und was nicht, und wie sich die Konjunkturen der Berichterstattung auf das politische Handeln – und Nicht-Handeln – auswirken.
Winfried Nachtwei im Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Schlichte.
Gesellschaftliche Voraussetzungen für den Aufstieg des autoritären Nationalradikalismus der AfD
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Haus der Wissenschaft Bremen, am 2. Sept. 2024 um 19.00 Uhr.
Die prognostizierten und zu erwartenden hohen Wahlgewinne der AfD in den ostdeutschen Bundesländern am 1. 9. 2024 müssen spätestens am Tag nach der Wahl jenseits von bekannten populistischen und rechtsextremen Zuschreibungen tiefgreifend als gewachsenes politisches Bewusstsein analysiert werden. Es handelt sich offensichtlich um ein relativ stabiles, gesellschaftlich seit langem alltagstaugliches, sozial produziertes Gedankengebäude einer auch in weiten Teilen der Bevölkerung verankerten aggressiven Staats-, Gesellschafts,- und Demokratiekritik. Die grundlegenden Arbeiten von W. Heitmeyer und seinem Institut haben in den letzten 20 Jahren zu den gesellschaftlichen Lageentwicklungen, Brüchen und sozialen Verwerfungen in der Bundesrepublik vielfältige herausragende sozialempirische Langzeitstudien zu Veränderungen des politischen Bewusstseins und des sozialen Verhaltens verfasst. Hiermit können die gesellschaftlichen Voraussetzungen für den Aufstieg der AfD plausibel faktenbasiert nachgezeichnet und offen diskutiert werden.
Vortrag von Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer, Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Universität Bielefeld.
Der Reiz des Alltäglichen. Experten des ungewöhnlich gewöhnlichen Lebens
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Haus der Wissenschaft Bremen, am 22. Mai 2024 um 17.00 Uhr.
Die ästhetischen Vorlieben aus dem gewöhnlichen kulturellen Leben sind wie die Gefühle durch akustische und visuelle Erfahrungen, durch Geschmackliches, durch Gerüche und Berührungen beeinflusst. Das Ungewöhnliche des kulturellen Alltags kommt dort zum Ausdruck, wo sich durch persönliches Engagement ganz spezielle Neigungen und Expertisen entwickelt haben.
Exquisite Orientierungen der individuellen Alltagsästhetik werden erörtert und hinterfragt. Ungewöhnliche kulturelle Gepflogenheiten werden angesprochen. Was ist ihr Reiz oder Genuss? Was ist reizvoll? Und was ist gewöhnlich? Welche Talente treten hervor? Ist im Alltäglichen das Epische zu entdecken?
Es äußern sich Literatur-, Musik- und Genussbegeisterte zu ihrer Arbeit sowie zum visuellen, akustischen, kulinarischen und haptischen Kulturalltag. Im UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes als „Wertschätzung und Anerkennung überlieferten Wissens und Könnens“, dem die deutsche UNESCO-Kommission beigetreten ist, heißt es fast poetisch: „Kulturtalente tanzen, entwickeln, erzählen, prägen, fertigen, wissen, pflegen, spielen, können, kreieren, erhalten, gestalten, inspirieren…“
Die Fernseh- und Filmautorin Meriko Gehrmann im Gespräch mit Marie Enders (UNESCO, Leitung Geschäftsstelle Immaterielles Kulturerbe), Dr. Alexandra Tacke (Referentin für Literatur und Filmkunst beim Senator für Kultur Bremen), Götz Kelling-Urban (Musiker, Unternehmer) und Oliver Schmidt (Genussexperte). Am Flügel: Christian Faerber.
Ostpolitik und der Frieden in Europa
Sabine Märzthaler im Gespräch mit Willy Brandt, Hans Koschnick und Vitali Klitschko
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Kommunalkino CITY 46 Bremen, am 3. März 2024 um 11.00 Uhr.
Was die drei Politiker verbindet, war und ist ihre Stellung als Bürgermeister. In Berlin, Bremen und Kiew. Ihre unterschiedlichen Positionen erfragt Sabine Märzthaler in einem Gespräch über Vergangenes, Aktuelles und Künftiges. Man möge an den üblichen Jargon des Politischen in den allgegenwärtig bekannten Talkshows denken. Aber bei aller fortschreitenden Geistlosigkeit. In dieser Gesprächsrunde äußern sich Geister, ja tatsächlich: Gespenster.
Eine Mise en Scène mit Christian Kaiser (Regie; Koschnick), Kathrin Steinweg (Moderation), Christian Aumer (Brandt) und Denis Fischer (Klitschko). Skript: Reiner Matzker.
Ukraine. Zur Erklärung eines Angriffskrieges
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur am 9. März 2023 um 17.00 Uhr im Haus der Wissenschaft Bremen
Wir haben in der Öffentlichkeit zum Krieg in der Ukraine zu viel Meinung und zu wenig Erklärung. Zwei Erklärungsmuster dominieren: das „realistische“ (USA, Russland) und das „liberale“ (Deutschland). Der im 19. Jahrhundert verwurzelte Realismus betrachtet Staaten als Individuen, die Machtpolitik betreiben. Der Krieg als solcher ist in dieser Theorie nicht erklärungsbedürftig, sondern als „Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln“ immer möglich. Nur eine kluge Gleichgewichtspolitik (Bismarck) kann ihn vermeiden, wertebasierte Außenpolitik (Obama, die deutschen Grünen) gelten hier als Kriegsrisiko. Der „Liberalismus“ verortet dagegen den Krieg in den „Autokratien“, denen die friedliebenden Demokratien gegenüber gestellt werden. Krieg ist Ausdruck von überkommenen imperialen Herrschergelüsten einer kleinen Herrscherclique. Tatsächlich sind aber die USA, die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich sowie die Sowjetunion / Russische Föderation die am häufigsten kriegsbeteiligten Staaten für den Zeitraum nach 1945. „Viele dieser Kriegsbeteiligungen waren oder sind nicht völkerrechtskonform, wie auch die gegenwärtigen Kriegshandlungen westlicher Staaten im Jemen, in Pakistan oder Libyen zeigen.“ (K. Schlichte) Beide Paradigma, das realistische wie das liberale, halten sich nicht an die wirkliche Geschichte, sondern mythisieren in konträrer Weise die relativ junge Form der Nationalstaatlichkeit. Tatsächlich sind wir aber alle Teil derselben postimperialen Welt. Ausgehend von dieser Mangelhaftigkeit der beiden gängigen Erklärungsmuster versucht der Vortrag einen Begriff des Krieges aus einer kritischen, historisch-soziologischen Perspektive auf die internationale Politik zu umreißen. „Ihr Hauptmerkmal ist, dass sie, anstatt die »Pathologien« aus der Moderne zu eskamotieren, diese kritisch auf das Selbstverständnis der Moderne wendet. Diese Haltung teilen alle Ansätze des kritischen Paradigmas in den Internationalen Beziehungen und der kritischen Sozialtheorie. Das gilt für die marxistische Tradition mit ihren unterschiedlichen Varianten, etwa die kritische Internationale Politische Ökonomie oder die frühe Frankfurter Schule, und ebenso für die postkoloniale Theorie, die kritische Sicherheitsforschung oder den kritischen Feminismus.“ (K. Schlichte) Dazu einige Stichworte: »Der Staat ist eine Kriegsmaschine« – zu einer politischen Soziologie des zwischenstaatlichen Krieges; »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« als ein übergreifendes Strukturmerkmal der Weltgesellschaft; der postimperiale Habitus im Postsozialismus; eine asymmetrische Figuration; Dynamiken von Machtasymmetrien im Konflikt; Apparate und Industrien der »Sicherheit«, der Begriff des militärisch-industriellen Komplexes (MIK); »Punctuated Time« und Konflikthandeln.
Rainer Stollmann
Referat: Prof. Dr. Klaus Schlichte. Moderation: Prof. Dr. Rainer Stollmann. Statements: Dr. Narciss Göbbel, Cornelius Neumann-Redlin.
Klaus Schlichte ist seit 2010 Professor für Internationale Beziehungen und Weltgesellschaft an der Universität Bremen. Zuvor Professor in Magdeburg und an der Humboldt Universität Berlin, Forschungsaufenthalte an Universitäten in den USA, Paris und Kirgisistan. Seine Hauptforschungsgebiete sind die Soziologie des Krieges und der Staaten sowie die historische Soziologie der internationalen Politik im Allgemeinen. Außerdem hat er ein starkes Interesse an politischer und sozialer Theorie, die über seine Forschungsgebiete hinausgeht. Er hat umfangreiche Feldforschungen in Mali, Senegal, Uganda, Frankreich und Serbien durchgeführt. Seine letzten Publikationen sind „The Historicity of International Politics” (Mitherausgeber mit S. Stetter, Cambridge University Press 2023); „The Political Anthropology of Internationalized Politics” (Hrsg., London 2021), „Theories on Violence" (mit Teresa Koloma Beck, Hamburg: Junius 2014), „Dynamics of States” (Hrsg., Aldershot 2005) und „The State in World Society” (Frankfurt/M. 2005); „In the Shadow of Violence. Die Politik der bewaffneten Gruppen“ (Frankfurt/M. Campus; Chicago UP 2009).
Pop als Passion
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Haus der Wissenschaft Bremen, am 19. Januar 2023 um 14.00 Uhr.
Als vielleicht in den 1980er Jahren „Pop Art“ zu „Art Pop“ wurde, war nach wie vor klar, dass die Bezeichnung „Pop“ wenig mit Populärkultur zu tun hat. Eher mit einem Phänomen, das der von vielen beliebte Snack Popcorn verdeutlicht. Die Maisknabberei entfaltet sich mit einem Knall. Zumindest lässt sich sagen, dass die Popkultur an Knalleffekten orientiert ist. Dies in einem umfassenden ästhetischen Sinn. Unter dem Titel „Pop und Politik“ veröffentlichte der Spiegel-Verlag 1994 eine Spezialausgabe. Aber das Politische des Pop war stets nur Nachgeschmack. In der Musik und anderen Künsten war der Pop als exklusives wie subversives Moment des Kunstschaffens stets um das Neue bemüht, um das, was den Knall auslöst. Die Passion als Leiden und Leidenschaft begleitete die vom Pop ausgelöste Furore bis heute. Folgt sie marktwirtschaftlichen Einflüssen – oder steckt in dieser Kunst tatsächlich ein revoltierender Impuls? Auch wenn sie in der Vergangenheit fortwährend erfolgreich vermarktet wurde. Und welches politische Kalkül enthält die Passion eines Massenpublikums, das im Pop freigelegt wird?
Reiner Matzker
Ein Podiumsgespräch. Mit Andrea Rothaug (RockCity Hamburg, Pop Office Bremen), Gregor Hennig (Studio Nord, Pop Office Bremen), Ingo Petzke (Autor und Filmschaffender) und Kai Stührenberg (Bremer Staatsrat für Arbeit und Europa). Moderation: Harald Wehmeier.
Großmacht Europa?
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Restaurant „Il Blu“ Bremen, am Ulrichsplatz, Ostertorsteinweg 27, am 27. 10. 2022 um 18.00 Uhr.
Als ‚Last Call Europe’ könnte man die jüngste engagierte Rede von Bundeskanzler Scholz in Prag zur zukünftigen Entwicklung Europas verstehen. Angesichts der geopolitischen Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg und die damit notwendige Erneuerung einer langfristig belastbaren Sicherheitsarchitektur für das gemeinsame Haus Europa stellt sich die Frage: Benötigen wir nicht eine Großmacht Europa zwischen den imperialen Blöcken und Weltmächten? Scholz sprach von einem geeinten, souveränen und kooperativen Europa inmitten aktueller und zukünftiger bipolarer weltweiter Konflikte. Die Stärken und Schwächen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten stehen damit militärisch, ökonomisch, sozial und kulturell auf dem Prüfstand. Wer wagt die Führungsrolle für einen langwierigen Umbau mittels einer Transformation der notwendigen nationalstaatlichen Europäisierung auf der Grundlage einer gemeinsam geteilten wertebasierten Außenpolitik?
Erste Antworten und auch Zweifel hierzu finden wir u. a. möglicherweise in den aktuellen ideologischen Auseinandersetzungen um die militärische Stärkung der Ukraine, die autokratische Rolle und Kriegstreiberei Putins, die offensichtlichen Fehler der deutschen Osteuropapolitik, die Wirkungen der gegenüber Russland verhängten Sanktionen und die von Deutschland von allen Seiten erwartete Führungsrolle. Darüber hinaus könnte ein kritischer Blick in die langwierige Entstehungsgeschichte Europas und seine komplexe Ideengeschichte hilfreich sein.
Narciss Göbbel
Zur Thematik haben wir politisch und wissenschaftlich erfahrene meinungsstarke Bremer Experten zu einer Gesprächsrunde eingeladen:
Dr. Helga Trüpel, langjähriges Mitglied im Europaparlament für die GRÜNEN, Senatorin für Kultur und Ausländerintegration. Prof. Dr. Wolfgang Eichwede, Historiker der Universität Bremen und Gründer des Osteuropainstituts. Libuse Černá, Europa-Journalistin, Radio Bremen, Mitbegründerin des Bremer Rats für Integration und Kulturaustausch.
Europäisches Kino. Kontrovers, kritisch, skandalös
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Haus der Wissenschaft Bremen am 28. Juni 2022, um 14.00 Uhr
Eine cineastische Instanz à la Hollywood ist in Europa nicht zu finden. Aber auch die filmische „Traumfabrik“ basiert auf Neuerungen und Verheißungen der westlichen und mithin europäischen Industrialisierung. Die kinematographischen Ursprünge lassen sich auf technische Entwicklungen zurückführen, die zunächst in Europa Aufsehen erregten. Als der erste Apparat, mit dem man ein glaubhaft bewegtes Bild vorführen konnte, gilt das 1832 von J. A. F. Plateau in Brüssel erfundene Phenakistikop. Fast gleichzeitig erfand S. Stampfer in Wien das vergleichbare Stroboskop. Jahrzehnte später wurde im April 1894 in New York der erste Kinetoskop-Salon eröffnet, nach einer Erfindung von Thomas Alva Edison. Im Dezember 1895 veranstalteten die Brüder Louis und Auguste Lumière im Pariser Grand Café eine Vorführung mehrerer Kurzfilme. Im Berliner Varieté Wintergarten fand 1895 eine Filmvorführung der Gebrüder Skladanowsky statt. Ihr kinematographisches Bewegungssystem nannten sie Bioscope.
Dies nur zur ursprünglichen Technik. Die inhaltliche Produktion von Filmwerken im 20. Jahrhundert war in den USA wie in Europa stets beeinflusst von oftmals ideologischen Deutungen des Zeitgeschehens. In den USA schilderte 1914 in „The Birth of a Nation“ David Wark Griffith die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Nord- und Südstaaten. Dem zwar aus künstlerischer, filmästhetischer Perspektive wegweisenden Film wird berechtigt Rassismus vorgeworfen. Griffith glorifiziert den Ku Klux Klan. In Europa nahmen die Weltkriege und der Faschismus entscheidenden Anteil am Filmgeschehen. Filme wie „Jud Süß“ von Veit Harlan dienten in Deutschland der antisemitistischen Propaganda, seichte Unterhaltungsfilme dem nationalen Durchhaltewillen. Die revolutionäre Neubesinnung wurde in den UdSSR in den 1920er Jahren durch Filme von Sergej Eisenstein wie „Panzerkreuzer Potemkin“ oder „Oktober“ reflektiert. Eine Radikalität im Erzählerischen und Psychologischen wird Ende der 1920er Jahre durch Filme wie „Menschen am Sonntag“ von Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer und Billy Wilder deutlich. Oder 1931 durch „M“ von Fritz Lang.
Mitte des 20. Jahrhunderts ist ein filmgeschichtlicher Wandel zu beobachten. Essentiell ideologische Filme wichen inhaltlich zunehmend existenziellen Produktionen. Der Film „Les enfants du paradis“ (Kinder des Olymp, Frankreich 1943 – 45) von Marcel Carné , ein Werk über Zeit und Vergänglichkeit (Jacques Prévert), wird unter anderen exemplarisch für diese Entwicklung genannt. In Frankreich entwickelte sich die Nouvelle Vague, in Italien ein filmischer Neorealismus.
In der heutigen Zeit sind filmanalytisch äußerst vielschichtige, disparate und nicht unproblematische Deutungen aus Filmwerken ideologisch herauszulösen. Gewaltverherrlichende Phantasien, Sexismen, Rassismus und Perversionen prägen zahlreiche Werke des internationalen Films. In Europa konfigurieren nicht unkritisch provozierende Filme mit dieser Tendenz: Filme etwa von Pier Paolo Pasolini, Julia Ducournau, Claire Denis, Gaspar Noé, Bruno Dumont, Michael Haneke oder Lars von Trier.
Die übergreifende Frage: Ist es möglich, am Beispiel kultureller und subversiver Kompromisslosigkeit und Provokation einen Eigensinn europäischen Filmschaffens zu ermitteln?
Reiner Matzker
Podiumsgespräch mit Anette Unger, Dr. Eckhard Pabst, Prof. Dr. Marcus Stiglegger. Moderation: Dr. Narciss Göbbel.
Koloniales Erbe – legal oder erschlichen?
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur im Übersee-Museum Bremen am 27. April 2022, um 18.00 Uhr
Mit Beginn der Neuzeit und Entdeckungen der ‚Welt‘ war das europäische Zeitgeschehen durch die Eroberung weiter Teile neu erforschter Kontinente bestimmt. Im 19. Jahrhundert erreichte der Kolonialismus seinen Höhepunkt, begründet auf heute unakzeptable Theorien eines menschenverachtenden Rassismus und begleitet von Neugierde auf die fremden Welten, exotischen Kulturen und unbekannte Lebensverhältnisse. Das Interesse brachte Ende des Jahrhunderts u. a. die Errichtung von Völkerkundemuseen mit sich. Gegründet 1896 ist das Bremer Übersee-Museum bis heute eines der größten und bedeutendsten seiner Art.
Erst Jahrzehnte nach Ende des Kolonialismus im 20. Jahrhundert und infolge zunehmender Diskussionen und Erkenntnisse über diese Zeit und ihre Geschehnisse entstand wachsendes Interesse an einer Aufarbeitung ‚kolonialer Bestrebungen‘. Das Bremer Überseemuseum übernahm eine führende Rolle in diesem Prozess und startete eine „Spurensuche – Geschichte eines Museums“. Die Direktorin, Frau Prof. Dr. Wiebke Ahrndt, langjährige Vizepräsidentin des Deutschen Museumsbundes, leitet die Arbeitsgruppe „Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ und ist bundesweit maßgeblich beteiligt an der Aufarbeitung und Rückführung unrechtmäßig erworbener Exponate.
In der Ausstellung „Spurensuche“ werden hintergründige Fragen beantwortet: „Wie fanden die Exponate aus aller Welt ihren Weg in das Übersee-Museum? Wurden sie gesammelt, gekauft, gestohlen, geschenkt oder getauscht? Und welche Rolle spielten die Museumsmitarbeiter als Sammler und Auftraggeber, die Reedereien, Kaufleute, Missionare und lokalen Stellen und Händler?“
Manfred Michel
Nach einem Rundgang durch die Ausstellung berichtet Frau Prof. Dr. Ahrndt über ihre Arbeit. Der Rundgang beginnt im Foyer des Übersee-Museums. Das sich anschließende Gespräch wird von Dr. Narciss Göbbel moderiert.
Zur Person:
Prof. Dr. Wiebke Ahrndt. Studium u. a. der Geschichte, Ethnologie, Alten Geschichte, Ur- und Frühgeschichte und der Altamerikanistik an den Universitäten Braunschweig, Göttingen, Bonn und der University of California. Promotion in Altamerikanistik an der Universität Bonn. Nach wissenschaftlichen Tätigkeiten am Museum für Völkerkunde Hamburg und am Museum der Kulturen Basel ist sie seit 2002 Direktorin des Übersee-Museums Bremen. Sie war 2011 bis 2018 Vizepräsidentin des Deutschen Museumsbundes und ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Beiräten und Gremien und seit 2006 Honorarprofessorin an der Universität Bremen.
Die Veranstaltung wurde aus traurigem Anlass durch den plötzlichen Tod von Manfred Michel abgesagt.
Was ist eigentlich trivial? Probleme kultureller Wertung
Eine Gesprächsrunde der Akademie Europäischer Kultur im Bremer Kino Atlantis am 28. Januar 2022
Die Veranstaltung musste durch Krankheitsausfälle abgesagt werden. Nachstehend die Statements der eingeladenen Gäste:
Einen kulturellen Beitrag als „trivial“ zu kritisieren, ist schon sehr speziell, aber natürlich nicht vollkommen undenkbar. Generell sind in einer liberalen Gesellschaft, die sich in und durch rationale Diskurse ihres Selbstverständnisses versichert, auch kulturkritische Beiträge sinnvoll und erwünscht. Es ist wichtig, dass Kritik möglich ist. Sie sollte allerdings ihre Maßstäbe nennen und explizieren und gute Gründe vorbringen können. Und: Wer kritisiert, muss sich auch kritisieren lassen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, habe ich nichts dagegen, bestimmte kulturelle Phänomene als „trivial“ zu bezeichnen. Das kann ja vielleicht auch eine interessante Anregung für eine Auseinandersetzung sein. Man darf dann einfach gespannt sein auf die Begründung. Und kann dann ja ggf. widersprechen.
Dagmar Borchers
Ich meine, die folgende Anekdote wurde von Billy Wilder erzählt: Zwei Drehbuchautoren, der eine sehr erfolgreich, der andere ziemlich erfolglos, unterhalten sich. Der erfolglose fragt: „Was ist dein Geheimnis, woher nimmst du die tollen Ideen?“ Sagt der erfolgreiche: „Es liegt immer ein Zettel und ein Stift neben meinem Bett. Wenn ich etwas Tolles träume und aufwache, schreibe ich die Idee schnell auf. Am nächsten Morgen verarbeite ich sie zu einem Drehbuch.“ So verfährt auch der erfolglose Drehbuchautor, legt sich Zettel und Stift neben das Bett und schläft ein. Tatsächlich träumt er eine unglaubliche Geschichte. Er wacht auf, schreibt das Wichtigste schnell auf und schläft glücklich und in der Erwartung ein, demnächst einen Oscar zu gewinnen. Als er am nächsten Morgen seine Aufzeichnungen ansieht, steht dort „Junge liebt Mädchen.“ – Solche Zettel lagen ja eventuell auch neben den Betten von Shakespeare und Goethe, von James Cameron und David Lynch. Und der schlichte Satz vom jugendlichen Liebespaar steckt in Werken wie Romeo und Julia, Werther, Titanic und Wild at Heart. Und er steckt auch in der Lindenstraße oder in Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Was aber veranlasst jemanden zu dem Urteil, das eine sei trivial, das andere nicht? M. E. liegt ein Grund für solche Werturteile in der Taxierung der Form und nicht des Inhalts. Formen transportieren Inhalte, und je einfacher sich die formale Struktur durchschauen lässt und den Blick auf das inhaltliche Substrat freigibt, desto näher liegt – scheint mir – das Urteil der Trivialität. Was aber ist einfach zu durchschauen und was nicht? Oder besser: Wem fällt es leicht? Die Antworten auf diese Fragen führen in den Bereich kultureller Kompetenzen, und die Mechanismen, die hier freigelegt werden, sind solche der sozialen Abgrenzung.
Eckhard Pabst
Die Unterscheidung des Kunst- und Kulturbegriffs in einen „e“ und einen „u“ Bereich ist ja zunächst dergestalt zu hinterfragen, welche „Instanz“ diese Unterscheidung eigentlich vornimmt – und, in welcher Zeit bzw. unter welchem ideologischen Überbau dies geschieht … Noch für Ulbricht galt etwa „Beat-Musik“ als dekadentes und kulturloses „yeah yeah yeah“… Das ganze ist ein schier endloses kontroverses Thema mit immer neuen Wendungen, abhängig von einem nur diffus greifbaren „Zeitgeist“ und seinen jeweiligen Protagonisten auf Seiten der Kulturschaffenden einerseits, und der (allzu häufig selbsternannten) Kulturkritiker andererseits. Die interessante Frage bleibt, ob und inwieweit sich tragfähige Kriterien für die „Wertigkeit“ von Kunst und Kultur jenseits subjektiver Geschmacksfragen beschreiben lassen, die den Stempel „trivial“ entweder rechtfertigen oder begründet hinterfragen können. Und das gilt bei sämtlichen Angebotsformen (Musik, Malerei, Literatur, Film, Theater etc, etc,) Da der rezeptive Zugang zu manchen dieser Musen durchaus durch Bildungsschranken begrenzt ist, bedarf es natürlich der Expertise eines Beurteilenden, die aber kaum oder nur sehr selten die ganze Bandbreite des schier unendlichen Spektrums an Kunstformen abdecken kann… also: was ist eigentlich trivial… ? Karl May? Donald Duck? Die Equals? Eines meiner Lieblingszitate stammt von dem dänischen Dichter Hans Christian Andersen: „Er hat ja gar nichts an!“ – dieser Ausruf eines Kindes bricht das Schweigen. Betrug und Selbstbetrug sind entlarvt.
Harald Wehmeier
Kulturelle Emanzipation im Iran und in Europa
Eine Gesprächsrunde der Akademie Europäischer Kultur in der Kunsthalle Bremen am 20. Oktober 2020
Seltener verfolgen Künste nationale oder einseitig religiöse Interessen, von denen sie umso häufiger selbst verfolgt wurden und werden. Die iranische ‚Kultur’ ist seit vielen Jahren oder Jahrzehnten geprägt durch den Konflikt zwischen einer restriktiv konservativen Geisteshaltung und ambitioniert fortschrittlichen Ideen. Sind kulturelle Entwicklungen in Europa vergleichbar einzuschätzen? In dieser Gesprächsrunde äußern sich ebenso politisch wie persönlich iranische Künstlerinnen und Künstler zu ihrer Sicht auf europäische Verhältnisse. Das Interesse der Veranstaltung gilt der Einschätzung Europäischer Kultur aus der Sicht in Europa lebender Künstlerinnen und Künstler iranischer Herkunft. Gibt es Unterschiede zwischen iranischer und europäischer Kunst? Oder werden vielmehr internationale Entwicklungen künstlerisch berücksichtigt? Was bedeutet aus persönlicher Sicht kulturelle Emanzipation? Inwieweit hat das Leben in europäischen Verhältnissen die eigene Kunst beeinflusst? Sind manche kulturellen Tendenzen in Europa eher kritisch zu betrachten? Allgemeiner: Was ist unter 'moderner Kunst' zu verstehen? Oder Gegenwartskunst? Ist Kunst Teil der politischen Kommunikation?
Reiner Matzker
Einführung: Prof. Dr. Christoph Grunenberg. Im Gespräch die Künstlerinnen und Künstler: Parastou Forouhar (Mainz), per Video zugeschaltet; Maryam Motallebzadeh (Berlin); Hassan Sheidaei (Bremen). Moderation: Dr. Narciss Göbbel.
Film- und Medienbewertung. Zwischen Kunst und Kommerz
Mittagsgespräch am 8. November 2019 im Haus der Unternehmensverbände im Lande Bremen
Die Prädikate „wertvoll“ und „besonders wertvoll“, etabliert in den 1920ern, sind Qualitätssiegel und für heutige Besucher eine „Marke“ für die Filmempfehlung. Sie sind fester Bestandteil der deutschen Kinokultur. Durch die gemeinsame Filmsichtung und Bewertung unabhängiger Gremien in Wiesbaden wird die Unabhängigkeit der Entscheidungen garantiert. Sämtliche Bundesländer entsenden für einen Zeitraum von drei Jahren ehrenamtliche Film-Gutachter mit den unterschiedlichsten professionellen Hintergründen aus dem Film- und Medienbereich. So sind die Länder, Auftraggeber der FBW, auch an der Arbeit beteiligt.
Wozu dienen diese Siegel noch heute, und auf welcher Grundlage werden sie vergeben? Zuallererst dienen die Prädikate als Verwaltungsakte der Förderung des herausragenden Filmschaffens. Sie sind relevant für die bundesweite und regionale Filmförderung. Sie dienen weiterhin der Öffentlichkeit zur Orientierung im Filmangebot. Dabei wird Filmen bei der Bewertung die ihnen gebührende Wertschätzung entgegengebracht. Dies gilt sowohl den Filmen, die Unterhaltung zum Ziel haben, als auch Filmen, die beispielsweise komplexe politische oder gesellschaftlich ambitionierte Themen behandeln. Es gelten für die Jurys keine abstrakten Kulturbegriffe. Die Kriterien der Jurys haben sich am Anspruch und am Genre der einzelnen Filme zu bemessen.
Der FBW wird eine große Bandbreite unterschiedlichster Filme zur Bewertung vorgelegt. Filme, bei denen künstlerische Ambitionen im Vordergrund stehen, als auch Filme, bei denen der kommerzielle Erfolg Priorität hat, so dass Kunst und Kommerz als Antipoden eines Kontinuums beispielsweise in Form von Arthouse und Mainstream auch bei der FBW manchmal sehr nahe beieinander liegen.
Obwohl die FBW eine tradierte Einrichtung ist, hat sie sich seit den 2000ern neu positioniert. Zwar hat sich das Kerngeschäft nur wenig, ihre Ausrichtung und Schwerpunkte haben sich jedoch sehr bedeutend verändert. Die FBW betreibt heute verstärkt Öffentlichkeitsarbeit und initiiert zukunftsweisende Projekte. So trägt sie selbst auch dem permanenten kulturellen Wandel Rechnung.
Bettina Buchler
Begrüßung: Manfred Michel. Kurzreferate: Bettina Buchler (Direktorin der FBW aus Wiesbaden); Prof. Dr. Marcus Stiglegger (Juryvorsitzender der FBW, Vizepräsident und Professor für Fernsehen und Film an der DEKRA Hochschule für Medien Berlin); Wilfried Hippen (Juryvorsitzender der FBW, Filmjournalist aus Bremen). Moderation: Dr. Narciss Göbbel.
Europa ex Machina – zur politischen Bedeutung „sozialer Netzwerke“ und „künstlicher Intelligenz“
Mittagsgespräch am 31. Mai 2019 in der Kunsthalle Bremen
Der Planet Solaris in der gleichnamigen Erzählung von Stanislaw Lem kommuniziert mit den ihn untersuchenden Astronauten wie ein universelles Bewusstsein. Er sendet ihnen virtuelle Gäste. Der Astronaut Kelvin begegnet Harey, seiner durch Suizid verstorbenen Geliebten. Es wird deutlich: Die künstlich geschaffenen Personen reagieren auf menschliche Gewissenskonflikte. Dies unterscheidet sie beispielsweise von den egoistisch und berechnend wirkenden Androiden aus dem Film „Ex Machina“. Und es unterscheidet sie von allen entwickelten Erscheinungen artifizieller Intelligenz. Die Phänomene des Planeten Solaris sind Faktoren der Verunsicherung des individuellen Selbstverständnisses.
Die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beweggründe der Online-Verständigung haben in ihrer gesamtkulturellen Form und Metaphysik ein vergleichbares universelles Massenbewusstsein geschaffen. In seiner Diffusion jedoch ist dieses Bewusstsein kaum als moralisches Subjekt aufzufassen. Die eher ziellose wie zufällige Ausstreuung und Verbreitung von Informationen – auch solcher, die auf Fanatismus, menschlicher Dummheit und überkommenen Idealen beruhen – bringen es kaum als ethisch ernstzunehmende Größe zur Geltung. Entsprechend charakterisierbar sind die Öffentlichkeiten „sozialer Netzwerke“. Sie verdeutlichen: Technologischer Wandel ist nicht allein Ursache kommunikativer Veränderungen. Bei allem Fortschritt ist er zugleich auf die Ansprüche einer wenig reflektierten und reflektierenden Massenkommunikation zurückzuführen.
Reiner Matzker
Begrüßung und Einführung: Prof. Dr. Christoph Grunenberg (Kunsthistoriker und Direktor der Kunsthalle Bremen). Kurzvorträge: Barbara Lison (Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin, Direktorin der Stadtbibliothek Bremen und designierte Präsidentin des bibliothekarischen Weltverbandes IFLA); Prof. Dr. Frieder Nake (Mathematiker, Medienwissenschaftler und Pionier der Computerkunst). Moderation: Dr. Narciss Göbbel.
Populismus
Zweites Mittagsgespräch am 4. Mai 2018 im Haus der Unternehmensverbände im Lande Bremen
Gemessen an der älteren Bezeichnung für populistische, volksnahe Künste ist das Wort Populismus heute ungleich ein Euphemismus, eine beschönigende Bezeichnung für eine sich an Masseninteressen anbiedernde Politik. (Reiner Matzker)
Drei Persönlichkeiten aus Bremen und Georgien erläutern in Kurzreferaten ihre Sicht auf das Phänomen Populismus in Europa.
Dagmar Borchers:
Über Wahrheit und Lüge. Warum wir auf die Kategorie der Wahrheit nicht verzichten können
Populismus wird gemeinhin damit in Verbindung gebracht, ggf. aus strategischen Gründen Halbwahrheiten, wenn nicht gar Lügen zu verbreiten, sofern man sich davon einen (politischen) Vorteil verspricht. Über Wahrheit und Lüge in der Politik hat man in der Philosophie viel nachgedacht – bereits in der Antike, aber vor allem auch im 20. Jahrhundert. Eine besonders beeindruckende Reflexion über die zerstörerische Wirkung von Lügen und der Erosion der Kategorie der Wahrheit im Kontext der Politik findet sich bei der Philosophin Hannah Arendt. Ich möchte Ihre zentralen Gedanken vorstellen und deutlich machen, warum ihre Überlegungen m. E. auch für die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Populismus wichtig und aufschlussreich sind.
Wolfgang Stephan Kissel:
Ein Jahr nach der Wahl: Frankreichs Populismen und die Ära Macron
Vor den französischen Präsidentschaftswahlen vom 7. Mai 2017 herrschte Besorgnis, der rechtspopulistische Front National (FN) könne das höchste Staatsamt erobern. Der Sieg Emmanuel Macrons hat die Parteienlandschaft Frankreichs jedoch zugunsten der zentristischen Sammlungsbewegung La République en Marche (LRM) grundlegend verändert. Der FN scheint zurzeit schwer angeschlagen und läuft Gefahr, sich in inneren Streitigkeiten aufzureiben. Die linkspopulistische Partei La France Insoumise unter der Führung von Jean-Luc Mélenchon ist hingegen im Parlament mit einer eigenen Fraktion vertreten. Ob Präsident Macron den Front auf Dauer von der Macht fernhalten oder sogar beide Populismen marginalisieren kann, wird vom Erfolg und der Akzeptanz seiner Politik bei den Franzosen abhängen
Bidzina Lebanidze:
„Georgischer Marsch“ auf dem Vormarsch: Populismus in der europäischen Peripherie
Populismus ist nicht nur für Länder der Europäischen Union zu einem ernsthaften Problem geworden. Auch in den Ländern der europäischen Peripherie kommt es zum Erstarken populistischer Sentiments. In den postsowjetischen Staaten werden die populistischen Stimmungen weiterhin durch Propagandatätigkeit der Drittstaaten verstärkt. In Georgien, ein Land, das sich als europäisch definiert und die EU-Mitgliedschaft sucht, infiltriert der Populismus sowohl die politische Klasse als auch die Bevölkerung und wird zur ernsten Herausforderung.
Begrüßung Cornelius-Neumann Redlin. Kurzreferate Prof. Dr. Dagmar Borchers (Philosophin, Universität Bremen); Dr. Bidzina Lebanidze (Politikwissenschaftler und Lektor, Institut für Europastudien der Universität Bremen); Prof. Dr. Wolfgang Stephan Kissel (Institutssprecher, Institut für Europastudien der Universität Bremen). Moderation: Dr. Narciss Göbbel
Eine Veranstaltung der Akademie Europäischer Kultur in Verbindung mit dem Institut für Europastudien der Universität Bremen. Das Bremer Institut für Europastudien bündelt die Europa-Kompetenz in Lehre und Forschung in den Fächern Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft. Seit mehr als zehn Jahren werden Studierende im Bachelorstudiengang „Integrierte Europastudien“ für Positionen in europäischen und internationalen Institutionen, Unternehmen, aber auch für die Politik ausgebildet. Geschäftsführerin: Yvonne Pannemann.
Das Ungewisse in der Kultur
Mittagsgespräch am 27. Oktober 2017 im Haus der Unternehmensverbände im Lande Bremen
Thomas Assheuer hat die ‚Flüchtlinge‘ in seinem Essay „Willkommenskultur“ als „Vorboten des Ungewissen“ bezeichnet. Sie träfen auf nervöse Gesellschaften. Etwas Anfängliches kehre nach der Moderne zurück, eine Gewalt in mythischer Dimension. Nicht nur die Fakten, sondern auch die Vorstellungen und Ängste seien als Tatsachen zu begreifen. In ganz Europa formieren sich mit politischen Erfolgen EU- und Asylgegner. In Frankreich Le Pen, in Holland Geert Wilders, in der Schweiz die SVP, in Österreich die FPÖ, in Ungarn Victor Orbán. Die europäische Rechte scheint längst nicht mehr an einer Revision interessiert. Eher an Revolution. Das Ungewisse ist ebenso ein Moment der Spannung wie Faktor der Verunsicherung. An ihm scheitert die Antizipation, die Vorwegnahme. An ihm scheitern die Prognosen. Im Ungewissen ist die kulturelle Zukunft ein blinder Fleck – eine Grauzone. Das Denken, das kein Morgen kennt, speist sich aus dieser Leerstelle, das irreführende Leben des gelebten Augenblicks, die Hoffnung, die Angst. Das Ungewisse bleibt nicht ohne Wirkung auf das Geschehen, auf individuelles und gesellschaftliches Handeln, auf Wirtschaft, Politik und die Künste. Es steuert Lebensverhältnisse. Die Ungewissheit der europäischen Zukunft ist Triebmoment des politischen Optimismus wie der hilflosen Verankerung in überkommene staatliche Identitäten und nationale Formen der Selbstbehauptung. „Is this the life we really want?“ fragt ein international bekannter Musiker. Eine offene kulturpessimistische Frage – oder ein Postulat?
Reiner Matzker
Begrüßung: Cornelius Neumann-Redlin (Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände im Lande Bremen). Einführung Prof. Dr. Reiner Matzker. Kurzreferate: Renate Heitmann (Vorstand der bremer shakespeare company); Prof. Dr. Ferdinand Fellmann (Philosoph); Prof. Dr. Gerd G. Kopper (Journalistikwissenschaftler). Moderation: Dr. Narciss Göbbel.
Die Akademie Europäischer Kultur
Erstes Symposium am 5. Mai 2017 im Haus der Wissenschaft, Bremen
Die europäischen Verhältnisse sind ebenso denkwürdig wie bedenklich in Bewegung geraten: politisch, wirtschaftlich und kulturell. In Bremen hat es sich eine Gruppe von beobachtenden und nachdenklich gestimmten Personen zur Aufgabe gemacht, ein Forum, eine „Bühne“ für aktuelle und historisch gewachsene Probleme zu schaffen. Es entstand konzeptionell die Idee einer Akademiegründung. Die „Akademie Europäischer Kultur“ ist im traditionellen Sinn als Mitgliederakademie konzipiert. Ihrem Auftrag entspricht die Wahrnehmung, Anregung und Prognose kultureller Vorgänge und Entwicklungen im europäischen Raum. Die Observationen wirtschaftlicher, politischer, sozialer, technischer und künstlerischer Prozesse sind in die Akademiearbeit und ihre jeweiligen Arbeitsbereiche (Abteilungen) einbezogen. Die Ergebnisse werden allgemein durch Vorträge, Diskussionsveranstaltungen, Lesungen, Ausstellungen, Performances etc. von den Mitgliedern präsentiert. Sie dienen im Weiteren der Beschreibung wegweisender Anforderungen für kulturelle Bildung sowie der Überarbeitung und Erneuerung von Bildungskonzepten. Sie leisten unter Berücksichtigung öffentlicher Interessen Beiträge zur gesellschaftlichen Entwicklung.
Einführung: Prof. Dr. Reiner Matzker (Kommunikationswissenschaftler). Referate: Dr. Helga Trüpel (langjähriges Mitglied im Europaparlament); Prof. Dr. Detlev Ganten (Präsident des World Health Summit). Moderation: Dr. Narziss Göbbel, Manfred Michel.
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